Chemienobelpreis 1963: Giulio Natta — Karl Ziegler

Chemienobelpreis 1963: Giulio Natta — Karl Ziegler
Chemienobelpreis 1963: Giulio Natta — Karl Ziegler
 
Der Deutsche Ziegler und der Italiener Natta erhielten den Nobelpreis für ihre Entdeckungen zur Chemie und Technologie der Hochpolymere.
 
 Biografien
 
Giulio Natta, * Imperia (Italien) 26. 2. 1903, ✝ Bergamo 2. 5. 1979; 1933-35 Professor an der Universität in Pavia und gleichzeitig dort auch Direktor der Abteilung für allgemeine Chemie, 1936-38 Direktor des Instituts für industrielle Chemie am Polytechnikum in Turin, ab 1938 Direktor des Instituts für industrielle Chemie am Polytechnikum in Mailand.
 
Karl Waldemar Ziegler, * Helsa (bei Kassel) 26. 11. 1898, ✝ Mülheim a. d. Ruhr 11. 8. 1973; 1935 Liebig-Medaille, 1943-69 Direktor des Max-Planck-Instituts für Kohleforschung in Mülheim a. d. Ruhr, 1954-57 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mineralölwissenschaft und Kohlechemie.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts beherrschte die chemische Industrie bereits die Produktion diverser »Kunststoffe«. Die von Leo Baekeland angestoßene Entwicklung der nach ihm benannten Bakelite hatte mit den unter dieser Bezeichnung zusammengefassten Kunstharzen die Herstellung von vielfältig einsetzbaren Plastikmaterialien und Lacken ermöglicht. Die Palette der Produkte, zu denen diese verarbeitet wurden, reichte über Möbel und Besteck bis hin zum Isoliermaterial für elektrische Leitungen. Synthetische Kautschukersatzstoffe wie der aus Dimethylbutadien gewonnene »Methylkautschuk« und das aus Butadien unter Katalyse von metallischem Natrium produzierte BuNa erlangten Bedeutung für die deutsche Rüstungs- und Kriegswirtschaft in den beiden Weltkriegen. Seit Mitte der 1930er-Jahre beherrschten die I.G. Farben in Deutschland die Produktion von Polyvinylchlorid (PVC), Perlon und Dralon. Der Verlauf vieler Polymerisations- und Polykondensationsreaktionen war aber nur in Grundzügen, nicht im Detail bekannt und entzog sich damit zugleich der absoluten Steuerung.
 
In einer relativ einfachen Modellvorstellung eines chemischen Moleküls haben die chemischen Bindungen, welche die einzelnen Atome miteinander verknüpfen, eine bestimmte Richtung im Raum. Aus dieser Richtung wiederum ergibt sich die Anordnung der einzelnen Atome und Atomgruppen. Verzweigungen der Kohlenstoffkette, die in den meisten Fällen sozusagen das Rückgrat des Moleküls bildet, sind schon bei etwas größeren Molekülen möglich, ebenso Unterschiede in der Abfolge der einzelnen Atome verschiedener Elemente. Dimethylether und Ethanol — der trinkbare Alkohol — weisen die gleiche Anzahl der jeweiligen Atome auf, sie sind jedoch in ihrer Struktur, ihren chemischen Eigenschaften und nicht zuletzt in ihrer Wirkung auf den menschlichen Organismus sehr verschieden.
 
 Die Polymerisation von Ethylen
 
1950 stellte die Polymerisation von Ethylen, also die chemische Synthese der höher molekularen, festen Verbindung Polyethylen aus dem einfachen gasförmigen Ethylen, eine chemische und technische Herausforderung dar. Sie zu bewältigen war lange Zeit nur unter scharfen Reaktionsbedingungen, dem Einsatz von hohem Druck und hoher Temperatur möglich. Die Reaktion lieferte ein uneinheitliches und nur schwer zu verarbeitendes Produkt. Mit den Ergebnissen der Arbeiten von Ziegler und Natta war es möglich, die zufällige Verzweigung der Kohlenstoffkette bei der Polymerisation zu unterbinden. Karl Ziegler und seine Mitarbeiter entdeckten, dass die Anwesenheit von Aluminiumalkylen und Titantetrachlorid als Katalysatoren die Polymerisation bei Raumtemperatur ablaufen ließ und zu einer einheitlichen Kettenstruktur des Polyethylens führte. Das so erhaltene Polymerisat war kristallin und von hoher Dichte. Bei Titantetrachlorid handelt es sich um eine helle, stechend riechende, an feuchter Luft rauchende Flüssigkeit, die sich mit Wasser leicht zu festem Titandioxid und Salzsäure zersetzt. Aluminiumalkyle sind metallorganische Verbindungen aus einem Aluminiumatom und beispielsweise drei Ethyl-(C2H5-)Gruppen. In der Luft entflammen diese Verbindungen spontan, sie reagieren mit Wasser heftig bis explosiv und greifen viele der als übliche Lösungsmittel verwendeten Substanzen chemisch an. Das zu polymerisierende Ethylen musste demnach frei von Wasser sein und die Reaktion unter Luftausschluss durchgeführt werden.
 
 Die räumlichen Strukturen der Kohlenstoffketten
 
Natta verfeinerte die technische Durchführbarkeit der Polymerisationsreaktion dahingehend, dass er unter Anwendung der so genannten Ziegler-Katalysatoren die Synthese von vielen verschiedenen Polymeren ermöglichte, dies aber mit vorhersagbaren räumlichen Strukturen hinsichtlich der von der Kohlenstoffkette in den Raum hineinragenden Atome oder Substituentengruppen. Stellt man sich in einem Gedankenexperiment auf die Kohlenstoffkette eines Makromoleküls oder Polymers, so kann man entlang dieser Kette von einem Ende des Moleküls durchgehend zum anderen wandern. Dabei ist es unerheblich, dass die Wanderung mal auf und ab verläuft. Wichtig ist, dass rechts und links vor dem gedanklichen Auge unterscheidbar sind. Die Substituenten des Makromoleküls, zum Beispiel eine Methylgruppe (CH3-Gruppe) können nach links oder nach rechts in den Raum ragen. Ist keine Regelmäßigkeit feststellbar, so heißen entsprechende Moleküle ataktisch. Eine Polymerisationsreaktion mit ausgewählten Ziegler-Katalysatoren führt dagegen zu stereospezifischen Molekülen. Für den Wanderer auf dem Molekül ragen die Substituenten entweder alle nach rechts oder alle nach links in einer isotaktischen Anordnung in den Raum, oder sie können sich in einer syndiotaktischen Anordnung abwechseln: einmal rechts, einmal links.
 
Die unter Einsatz des ausgewählten Katalysators hergestellten Verbindungen sind nunmehr gleichartig. Damit war die Herstellung von einheitlichen Polymeren in großen Mengen möglich, somit auch eine Untersuchung der daraus hergestellten einheitlichen Kunststoffe, die nun als Reaktionsprodukte an die Stelle der bislang erhaltenen Gemische ohne oder mit einer nur in geringem Maße vorhersagbaren Struktur traten. Der nächste Schritt bestand in einer zielgerichteten Beeinflussung der Eigenschaften dieser Kunststoffe über eine planbare Veränderung der Struktur des einzelnen Makromoleküls. Weitere Variationsmöglichkeiten eröffneten sich durch die so genannte Copolymerisation, bei der mehrere Grundbausteine zu einem regelmäßig aufgebauten Makromolekül chemisch verknüpft wurden.
 
 Beginn des Plastikzeitalters
 
Karl Ziegler sah sich selbst als »reinen Chemiker«, weder als Experte für makromolekulare Chemie noch für Kunststoffe. Ironischerweise sollten seine Arbeiten an einem Institut für Kohleforschung gerade den Ersatz der Kohle durch das Erdöl als Rohstoff der chemischen Industrie vorantreiben. Umso nachdrücklicher betonte er die Wichtigkeit und den Wert der Freiheit, den Gegenstand seiner Forschungen selbstständig und frei wählen zu können. Die Arbeiten von Karl Ziegler und Giulio Natta haben das Plastikzeitalter eingeläutet. Sie eröffneten bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannte Möglichkeiten und Aussichten, für Anwendungen im technischen und im Konsumgüterbereich »Kunststoffe nach Maß« zu entwerfen. Dies resultierte in einer großen Anzahl neuer Materialien für Produkte wie: Haushaltstoffe, Rohre, Fasern für Filtertücher, Taucheranzüge, Isoliermaterialien und vieles mehr. Es entstanden aber auch immense Berge an Wohlstandsmüll, deren Beseitigung heute manches Kopfzerbrechen bereitet.
 
N. Fuchsloch

Universal-Lexikon. 2012.

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